GÖRZ/GORIZA

Ein markanter Hügel (sl. Gorica) nahe des Isonzo-Unterlaufes war seit der Ur- und Frühgeschichte ein sicherer und daher geschützter Siedlungsplatz. Für uns fassbar werden Burg und Ort im Jahre 1001, als Kaiser Otto III. Salcano und die „villa“ Görz dem Patriarchen von Aquileja und dem Grafen Werihen von Friaul schenkte. Dessen Heiratspolitik brachte das Gebiet an die Eppensteiner (Marktwartinger), denen im 12. Jahrhundert die Nachkommen des Lurngauer und Pustertaler Grafen Engelbert aus dem Geschlecht der Sieghardinger folgten, die sich ab 1120 Grafen von Görz nannten. Durch zielstrebige Machtpolitik gelang es diesen, östliche Teile der Markgrafschaft Friaul an sich zu ziehen und dabei den Patriarchen auszuschalten. 1271 teilten die Brüder Meinhard und Albert ihren Besitz: ersterer wurde Tiroler Landesfürst, letzterer übernahm die Stammburg mit der inneren (d. h. eigentlichen) Grafschaft Görz, die Besitzungen in Istrien, Friaul und Kärnten sowie das Pustertal. 

Görz erhielt von Graf Heinrich II. 1307 Stadtrechte. Unter seiner Herrschaft erreichte die innere Grafschaft Görz ihre größte Ausdehnung auch über Teile des Friaul. Seit seinem Tod 1323 ging ihre Bedeutung zurück, und die Grafschaft, die ähnlich den Herrschaften der Grafen von Cilli nie ein geschlossenes Territorium bildete, drohte zwischen den aufstrebenden habsburgischen Herrschaften, seit 1335 Kärnten, Krain und seit 1365 auch die „hintere Grafschaft“, und der Republik Venedig zerrieben zu werden. Vor allem wegen der Expansionsgelüste Venedigs, das 1418 den Patriarchen als weltlichen Reichsfürst absetzte und sich sein Territorium einverleibte, verlegten die Grafen von Görz im 15. Jh. ihre Residenz nach Lienz, wo sie mit Leonhard im Jahre 1500 sang- und klanglos ausstarben. Kaiser Maximilian, durch wechselseitige Verträge Erbe ihrer Herrschaftsrechte, ließ die Grafschaft mit ihrem Vorort Görz demonstrativ besetzen. Noch zweimal, 1508/14 und 1615/17 führten Kriege zwischen den Habsburgern und Venedig zur Besetzung von Görz, was in ersterem Fall zum Ausbau der Burgmauern führte. 

Görz selbst war zunächst eine Burgsiedlung und dann Residenzstadt. Vor der Burg entwickelte sich zunächst ein typischer Borgo, und dann am Fuße des Burgberges entlang der Hauptstraße bald ein langgezogener Straßenmarkt (heute Via Rastello). Die nunmehrige Händlerstadt ohne überregionale Bedeutung beherbergte allerdings neben Palazzi des örtlichen Adels auch wichtige kirchliche Institutionen, vor allem das Jesuitenkloster mit einer bedeutenden barocken Ignatiuskirche, die den österreichischen Typ der Wandpfeilerkirche übernahm. Eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erlebte die Stadt unter der Regierung Maria Theresias einerseits durch die Gründung des (habsburgischen) Erzbistums Görz, das 1751 das anachronistische Patriarchat Aquileja ablöste, und der örtlichen Adelskultur, die vor allem durch die Familien Lantieri (die Carlo Goldoni gastlich aufnahmen), Strassoldo und Attems geprägt wurde und zum Bau prächtiger Palazzi führte. Der bedeutendste unter ihnen ist der Palazzo Attems-Petzenstein, der traditionell dem kaiserliche Hofbaumeister Nicolaus Pacassi (1716-1790), einem der wichtigsten Architekten des österreichischen Spätbarock, zugeschrieben wird und heute eine staatliche Gemäldesammlung birgt. 

Während der Napoleonischen Kriege kam Görz, dessen Territorium seit 1717 mit dem südlich benachbarten Gradiska administrativ vereinigt war, zu den französischen Illyrischen Provinzen, blieb aber seit dem Wiener Kongress bis 1918 beim Habsburgerreich. 1849 wurden Görz und Gradiska mit Triest und Istrien zum neuen Kronland Küstenland (Litorale) vereinigt. Nunmehr erlebte Görz einen Wandel und Aufstieg von einer nur regional bedeutenden Kleinstadt zu einem innerhalb der Habsburgermonarchie hochgeschätzten Winteraufenthaltsort, der aufgrund seines milden und vor Winden geschützten Klimas bald „Nizza des Nordens“ genannt wurde. Die Stadt erhielt zwei Bahnanschlüsse: die Südbahn von Udine nach Triest 1860 und die „Transalpina“ bzw. Wocheinerbahn 1906, welche im Südwesten und Nordosten der Stadt getrennte Bahnhöfe in knapp vier Kilometern Entfernung erhielten. Nunmehr entstanden zahlreiche Villen und Gartenanlagen. 

Der erste Weltkrieg veränderte alles: Seit Mai 1915 lag die Stadt in unmittelbarer Frontlage und erlitt schwere Schäden. Im Zuge der 6. Isonzoschlacht gelang es der italienischen Armee im August des folgenden Jahres, Görz zu besetzen. 15 Monate später eroberten die österreichisch-ungarischen Truppen in der 12. Isonzoschlacht die Stadt am 28. Oktober 1917 zurück. Zwar war Görz (it. Gorizia, sl. Gorica) immer eine mehrsprachige Stadt, doch dominierte der italienische Bevölkerungsanteil bei weitem (1900 hatte Görz inklusive Garnison 25.432 Einwohner, davon 16.112 Italiener, 4754 Slowenen und 2760 Deutsche). Durch das Friedensdiktat von St. Germain kamen die bereits von italienischen Truppen annektierte Stadt und ihr Umland 1919 gemeinsam mit Triest als „Julisch-Venetien“ an Italien. Görz selbst, nunmehr offiziell Gorizia, und insbesondere seine Burg, wurden in der Zwischenkriegszeit im Sinne Mussolinis „italianisiert“, das alte Borgo vor der Burg grossteils geschleift. 

Am Ende des Zweiten Weltkrieges erreichten die jugoslawischen Partisanen unter Josip Broz Tito die Stadt und besetzten sie 40 Tage. Mit dem Frieden von Paris wurde 1947 die Grenze in Görz entlang der Wocheinerbahnstrecke gezogen, womit das gesamte östliche Hinterland der Stadt an Jugoslawien fiel. Bald darauf ließ Tito jenseits der Grenze demonstrativ auf grünem Rasen seine neue sozialistische Musterstadt Nova Gorica errichten. Der jahrhundertealte Wirtschaftsraum entlang des Isonzo um Görz erlitt aber durch die Grenzziehung für fast ein halbes Jahrhundert einen schweren Rückschlag, der mittlerweile durch den Zerfall Jugoslawiens, den Beitritt Sloweniens zur EU und zum Schengenraum beendet und einer neuen Form der Zusammenarbeit gewichen ist. Heute leben in der italienischen Provinzhauptstadt rund 35.000 Einwohnern, und 2025 werden Görz und Nova Gorica sogar gemeinsam den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt führen. 

Dr. Wilhelm Deuer