GÖRZ / GORIZIA

Vortrag und Buchpräsentationen: GÖRZ-GORIZIA
Dr. Hans KITZMÜLLER

Im Rahmen seiner Ausführungen betonte der Referent die Bedeutung der Mehrsprachigkeit in Görz, die in der 2.Hälfte des 19. JH zu einem Anstieg der Bevölkerung und zu einem Aufschwung der Wirtschaft führte. Diese Fakten belegte er mit zahlreichen Zitaten aus Büchern der Zeit und mit den Ergebnissen der Sprachzählungen, die praktisch alle zwei Jahre in Görz durchgeführt wurden. Dabei kam dem Buchdruck und den Verlagen eine besondere Bedeutung zu; Dr. Kitzmüller hat selbst den Verlag BRAITAN gegründet, in dem er besonders Werken aus dem Alpen-Adria einen vorrangigen Platz einräumt. Zwar wurde Görz im 1. Weltkrieg (Isonzoschlachten) fast vollkommen zerstört und damit auch jene Gesellschaft ausgelöscht, in der die Menschen unterschiedlicher Sprache und Religion friedlich zusammenlebten, was zur Blütezeit der Stadt am Isonzo geführt hatte, aber zahlreiche Dokumente (Bücher und Zeitschriften) berichten noch davon.

Mit der gemeinsamen Präsentation von Gorizia und Nova Gorica als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025 will man an diese „Goldene Zeit“ der Stadt am Isonzo wieder anknüpfen.

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GÖRZ / GORIZIA

Die Tatsache, dass Görz/Gorizia zusammen mit der slowenischen Stadt Nova Gorica im Jahr 2025 Europäische Kulturhauptstadt sein wird, hat die Verantwortlichen der Dante Alighieri Gesellschaft Klagenfurt schon in den letzten Jahren bewogen, dieses Thema in diversen Veranstaltungen zu erörtern, zumal Görz auch Partnerstadt von Klagenfurt ist. In der Folge wurden den Mitgliedern und Kursteilnehmern der Gesellschaft in mehreren Tagesfahrten die erhaltenen Informationen an Ort und Stelle näherge-bracht. Dabei standen zunächst die Synagoge und der Palazzo LANTIERI auf dem Programm, gefolgt von der in der Zwischenzeit renovierten Burg und der evangelischen Kirche, deren Errichtung weitgehend von der Familie Ritter von Zahony ermöglicht wurde; damit wurde auch ein besonderer Bezug zu Kärnten aufgenommen, da die älteste Tochter aus diesem Haus, Elvine verehelichte Gräfin de La Tour, ihre in Russiz/Capriva (Cormons) begonnene Tätigkeit, die sich der Betreuung und Ausbildung mittelloser Mädchen widmete, nach ihrer Übersiedlung nach Kärnten fortsetzte, wo ihre Ideen und Initiativen in den Werken der DIAKONIE weiterleben.

Wir freuen uns besonders, dass Dr. Hans Kitzmüller, langjähriger Italien-Korrespondent der KLEINEN ZEITUNG und profunder Kenner vor allem der Regionen des Nord-Ostens der Halbinsel, die Einladung zu einem Vortrag zu diesem Thema angenommen hat.Er wird an diesem Abend besonders auch über die beiden neuesten Bücher referieren, die aus Anlass der Kandidatur zur europäischen Kulturhauptstadt, entstanden sind:

GORIZIA AUSTRIACA – pagine ottocentesche; a cura di Hans Kitzmüller.  Das in italienischer Sprache verfasste Werk beinhaltet Beiträge namhafter Persönlichkeiten und behandelt die Zeit von 1500 – 1918.

GÖRZIn Österreichs Nizza traf sich die Welt in deutscher Sprache, von Christine Casapicola, erschienen im Verlag Braitan (Cormons, Gorizia) im Juni 2024. Für dieses Werk, das in seinem Verlag erschienen ist, hat Dr. Kitzmüller unter dem Titel „MEIN GÖRZ“ (s. 343 ff) einen hochinteressanten Beitrag verfasst, in dem er u.a. schreibt:

Furchtbare Kriege, nationalistische Verfälschungen durch die italienische Geschichtsschreibung und willkürliche Grenzziehungen haben die multikulturelle Identität des altösterreichischen Küstenlandes in Vergessenheit geraten lassen, mehr noch, fast gänzlich zum Verschwinden gebracht. Erst wenn es gelingt, mit Vorurteilen aufzuräumen und wir uns das ehemals geographisch und ethnographisch so vielfältige Küstenland als das einheitliche Gebiet, das es jahrhundertelang war, vorstellen, kann dessen Wiederentdeckung gelingen. Sicher braucht man dafür eine besondere Reisebegleitung, die dem neugierigen Besucher jeden Aspekt und alle Details derart erläutert, dass sie zu einer angenehmen Überraschung werden. Darüber hinaus wäre ein Leitfaden hilfreich, der aufzeigt, was vergessen wurde und wie und wann die Geschichte eines Ortes einer Verfälschung unterlegen ist.

 Ein derartiger Kompass für einen Streifzug durch das ehemalige Küstenland könnte sich am Schicksal jener kleinen Stadt am Isonzo ausrichten, die einst als „Nizza Österreichs“, den Mittelpunkt der Alpen-Adria-Region bildete.
Die Hauptstadt der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradisca war die territoriale Realisierung dessen, was man später unter dem Schlagwort „habsburgischer Mythos“ zusammenfasste. [ … ]
 

Die Erinnerung an das altösterreichische Küstenland wird in Görz und Umgebung bis heute in vielen Familien gepflegt. Auch meine Familie ist mit dem Landstrich tief verwurzelt. Vor allem die letzten fünf Generationen haben Fotos, Bilder, Tagebücher, Briefe, Postkarten, Schriftstücke, Urkunden, Buchhaltungsunterlagen und Autobiogra-phien sorgfältig aufbewahrt. Diese Dokumente machten es mir zusammen mit mündlichen Überlieferungen möglich, Teile meiner Familiengeschichte stellvertretend für die Schicksale der Menschen aus dem Küstenland niederzuschreiben. [ … ] 

Vor allem aber denke ich bei Görz an eine außergewöhnliche Stadt, aus der bedeutende Männer hervorgegangen sind, die im k.k. Staatsgymnasium die Schulbank gedrückt haben. Zu ihnen zählt Biagio Marin, einer der größten Dichte des zwanzigsten Jahrhunderts, der zeitlebens nur in der altvenezianischen Mundart seiner Heimat Grado dichten sollte; Carlo Michelstaedter, deutsch-jüdischer Abstammung, der in Florenz studierte und in dem man einen der originellsten und glänzendsten Dichter der mitteleuropäischen Kultur erkennen würde; oder Franco de Gironcoli, der sehr schöne Gedichte in erlesenem Friulanisch schreiben und so gemeinsam mit Pier Paolo Pasolini zur Emanzipation und Modernisierung der Dichtung in friulanischer Sprache beitragen sollte.[…]

Aber auch die Geschichte enthüllt Schichtungen, wie sie in Hinblick auf Vielfalt und Ablagerungen nur wenige Gebiete aufweisen. Ich brauche nur an Cormons zu denken und an dessen Geschichte – keltisches Dorf, römisches Castrum, später langobardisches Festungswerk, Sitz des Patriarchen, Besitztum der Grafen von Görz und über Jahrhunderte ein Ort an der Grenze – zuerst an jener zwischen der Serenissima und Österreich, dann an jener zwischen der Doppelmonarchie und dem Königreich Italien. 

In der zweiten Hälfte des 20. JH lagen unser Dorf und das nahe Görz an einer neuen Grenze, die nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals das slowenische vom italienischen Collio trennte. Zeit und Raum sind für uns in diesem Gebiet buntere und vielfachere Dimensionen als anderswo, sind ununterbrochenes Zusammenströmen verschiedenere Klänge und Formen, wobei sich Dissonanzen immer in Schweigen und Kontraste in Vergessen aufgelöst haben. In diesem undurchsichtigen Zeit-Raum-Gespinst kann man, unversehens angezogen und berührt, ohne Voreingenommenheit und Vorurteile, die Spuren der Geschichte erkennen, ihnen folgen und sich ein gültiges Urteil bilden.

H. K.

GÖRZ – GORIZIA

Vortrag in DEUTSCHER SPRACHE von

Dr. Hans KITZMÜLLER

Dienstag, 8. Oktober 2024 um 19 Uhr im MUSIL – HAUS (Bahnhofstr.50/1)